Tokio Hotel - "Humanoid" (Stunner Records/Universal, 2. Oktober)
Da wir den Ausführungen des Philologen Dr. René Reinholz zum Thema Tokio Hotel unbedingten Glauben schenken, ist auch uns klar, dass diese Band vielleicht der beste Spiegel der Befindlichkeit deutscher Jungmännerseelen ist. Ausgeprägte Homophobie, gegen Minderjährige gerichtete Misogynie, das Gefühl der unendlichen Überlegenheit über den musikalischen Geschmack von jüngeren Mädchen, durch verbale Aggression kompensierte Minderwertigkeitsgefühle, Sexualneid und die als Nonkonformismus verbrämte totale Ablehnung kommerziellen Erfolgs - so unappetitlich zusammengerührt sieht es vermutlich im Kopf vieler männlicher Heranwachsender aus, die Tokio Hotel fröhlich in Grund und Boden verdammen. Oder, um ein Bonmot von Sven Regener aus dem Zusammenhang zu reißen: Große Gedanken, kleines Gehirn. Aber auch Checker, Nerds und Eierköpfe glänzen gern mit dem ewig jungen Blödsinn, dass die Musik der Kaulitz-Zwillinge konstruiert und "natürlich nicht ernstzunehmen" sei. Dabei wäre dieses sehr gute dritte Tokio-Hotel-Album als guilty pleasure glatt verschenkt: Cyber-Romantik, androgyne Uneindeutigkeiten und professionell aufgedonnerte Songs, die nur dann lächerlich wirken, wenn man Sehnsüchte unbekannter Herkunft und die Liebe an sich lächerlich findet. Teile von "Kampf der Liebe" wurden wohl aus Carl Orffs "Carmina Burana" geliehen, und "Für immer jetzt" ist nah dran an "Durch den Monsun". Doch die Wucht, der Zauber und das Martyrium des Titelstücks und der Smashing-Pumpkins-Hommage "Geisterfahrer" sind unverfälscht und aufrichtig. Die Leserbriefe mit den üblichen Anfeindungen ("Wieviel Geld gab's von der Plattenfirma?", "Rezensent ab heute endgültig nicht mehr glaubwürdig") bitte an das bekannte Postfach. (7) Jan Wigger
Bereits zwei lange Jahre warten alle Tokio Hotel-Fans auf ein neues Album der Vier. Jetzt endlich will sich Deutschlands international erfolgreichste Rockband im Oktober für die Geduld ihrer deutschen Fans mehr als bedanken - HUMANOID erscheint am 2. Oktober und ist das sehnsüchtig erwartete dritte Studioalbum von Tokio Hotel.
“Wir haben über ein Jahr an diesem Album gearbeitet, bis wir das perfekte Gefühl zu den Songs und der ganzen Produktion hatten”, so Sänger Bill Kaulitz, der zusammen mit seinem Bruder Tom die Co-Produktion übernommen hat. „Wir lieben HUMANOID und hoffen, dass es das lange Warten der Fans wieder gut macht!“
Die vier Musiker, mittlerweile eine etablierte globale Sensation, sind monatelang mit ihrem langjährigen Produzenten David Jost im Studio untergetaucht, um ein Album mit Science-Fiction-inspirierten, zeitlosen Tracks für die ganze Welt zu schaffen. Während die erste Singleauskopplung „Automatisch“ - aktuell auf Platz 5 der deutschen Single-Charts -, die ebenso wie das Album auch in englischer Sprache veröffentlicht wurde, bereits die Klicks in den einschlägigen Videoportalen und Webtools in die Höhe schießen lässt und die Plattenverkäufe erwartungsgemäß hoch sind, haben wir uns das komplette Album einmal für euch unter die Lupe genommen:
Beginnen wir erst einmal bei der Veröffentlichung an sich. Das Album erscheint in so vielen Versionen, dass sogar die „Ich-kaufe-alles-wo-Tokio-Hotel-drauf-steht“-Sammler zurückschrecken werden. Es gibt die Standardversionen auf Deutsch und Englisch, natürlich die Deluxe-Edition in x-facher Ausführung, Super-Deluxe-Editionen mit CD+DVD, CDs mit Flaggen und und und. Da stelle ich mir die ganz einfache Frage: Geht es nicht eigentlich mehr um die Musik als um so viel Brimborium?
Nichtsdestotrotz enthält jede der Versionen eine silberne Scheibe, auf der der geneigte Hörer mindestens 12 neue Songs Marke Kaulitz & Co findet. Unterstützt wurden Tokio Hotel während der Studioarbeiten in Deutschland und den USA u.a. von Größen wie Pat Benzner und Dave Roth, die bereits an den bisherigen Tokio Hotel-Alben beteiligt waren. Beide Namen schrauben meine Erwartung an das Album in die Höhe, zumal die beiden Muttersprachler die englischen Lyrics sicher genauer unter die Lupe genommen haben. Doch bleiben wir erst mal bei der deutschen Version:
Wir starten ‚Humanoid‘ mit „Komm“ - einem Track der sehr sphärisch und unterirdisch überfiltert klingt. Im krassen Gegensatz dazu steht „Lass Uns Laufen“, bei dem mir als erstes die Klavierbegleitung sehr positiv auffällt. Nach einem ruhigen Anfang steigert sich der Song zu einer Powerballade, der jedoch etwas weniger ‚Power’ und etwas mehr ‚Ballade’ nicht schaden würde.
Platz drei der Tracklist nimmt die aktuelle Single „Automatisch“ für sich ein, über die wir bereits berichteten. Weiter geht es mit „Menschen suchen Menschen“, in dessen Melodie ich verzweifelt Tokio Hotel suche und Cinema Bizarre finde. Elektro-Pop wie er im Buche steht und der in meinen Ohren so gar nicht zu Tokio Hotel passt.
Irritierend wirkt der Titel „Hunde“, über dessen textliche Gestaltung ich mich ausschweige - zu wenig ist davon in den bisherigen Hörproben zu vernehmen -, dessen Hintergrundbeat sich jedoch einem Vergleich mit Lady Gaga stellen muss. Leider verliert „Hunde“ hier gegen den Flair, der Gaga-Songs ausmacht und kann mich auch im weiteren Verlauf nicht wirklich umstimmen.
Halbwegs überzeugt hat mich bis jetzt nur ein Song und das leider auch noch in der englischen Variante. „Geisterfahrer“ alias „Phantomrider“ erinnert mit viel Power und dennoch auch einer gehörigen Portion Gefühl an Tokio Hotel, wie man sie noch von „Zimmer 483“ kennt. Der Song klingt etwas nach einem Mix aus Snow Patrol’s „Chasing Cars“ und Tokio Hotel’s Hitsingle „Spring Nicht“ - eine Rockballade, die es in sich hat und die nach Tokio Hotel klingt, wie die meisten ihrer Fans sie kennen und lieben gelernt haben... doch sogar hier schafft es die Band nicht, die Elektronik komplett außen vor zu lassen und so stellt sich zusammen mit dem Gesang von Bills Duettpartnerin eine Frequenz ein, die zumindest mir persönlich Kopfschmerzen bereitet. Trotzdem bleibt es der beste Song auf dem Album.
Ebenfalls etwas vom alten Charme der Band bewahrt hat sich das Schlusslicht des Albums. „Zoom“ wird mit Klavier eingeleitet, erinnert von der Melodie her zumindest zu Beginn an „Vergessene Kinder“ und lässt die Hoffnung, nach dem Kauf ein nicht komplett elektronisch überbelastetet Album in den Händen zu halten, wachsen.
Zu guter Letzt eine Anmerkung zum englischsprachigen Album. Schon bei den offiziell geleakten Hörproben stellt man leicht fest, dass die Texte zum größten Teil rein gar nichts miteinander gemein haben. Gab man sich bei den früheren englischen Versionen noch die Mühe, wenigstens einigermaßen am Original zu halten, kann man aktuell (einmal ungeachtet der Melodie) oft nicht einmal mehr auf der Inhaltsebene erkennen, welche Songs zusammen gehören. Eigentlich schade, wenn man bedenkt, dass eines der Hauptargumente von Sänger Bill immer war, dass die nicht deutschsprachigen Fans die Songs genauso verstehen sollen, wie die deutschsprachige Fanbase. Wie das mit Texten, die inhaltlich verschieden sind, gehen soll, bleibt mir ein Rätsel, da es in dem Moment einfach zwei unterschiedliche Lieder sind. Ich kann den Gedanken nicht verleugnen, dass bei „Humanoid“ der Focus stärker auf die angepeilten Plattenverkäufe in den USA liegt, denn bei der deutschen Fanbase.
Auch wenn der Eindruck entsteht, dass ich kein gutes Haar an „Humanoid“ lasse, steht noch ein weiterer Kritikpunkt auf meiner Liste: Die Covergestaltung. Kreativ und sehr gut gemacht, keine Frage. Doch während die Band Tokio Hotel in Medienberichten immer mehr auf die Kaulitz-Zwillinge reduziert wird, scheint das Album nun ausschließlich Sänger Bill Kaulitz im Focus zu haben. Ein aus Marketingsicht möglicherweise geschickter Schachzug, für ein Bandalbum meiner Meinung nach aber Too Much! Von der Redaktion gibt es für das deutsche Album „Humanoid“ 5 von 10 inn-joy-Punkten, für zu viel Elektro- und zu wenig Rockpower. C. & S. Stahl
Wow....der Artikel ist echt heftig....aber ehrlich....
Es gibt einige Stellen am Schluß, die mir Magendrücken bereiten *seufz*
ZitatZu guter Letzt eine Anmerkung zum englischsprachigen Album. Schon bei den offiziell geleakten Hörproben stellt man leicht fest, dass die Texte zum größten Teil rein gar nichts miteinander gemein haben.
Klar kann man nicht immer alles 1:1 übersetzen, aber ich finde es schade das es dann versch. Versionen sind.
ZitatWie das mit Texten, die inhaltlich verschieden sind, gehen soll, bleibt mir ein Rätsel, da es in dem Moment einfach zwei unterschiedliche Lieder sind.
Da bin ich echt mal gespannt, die Jungs werden da sicher noch oft drauf angesprochen werden...
ZitatIch kann den Gedanken nicht verleugnen, dass bei „Humanoid“ der Focus stärker auf die angepeilten Plattenverkäufe in den USA liegt, denn bei der deutschen Fanbase.
Köpft mich nicht gleich dafür...ich weiß und denke auch das der Erfolg im Ausland wichtig ist, aber so ein bissel muß ich dem Redakteur/Journalist da Recht geben.
Duettpartnerin von Bill o_O Weiß jemand von euch wer damit gemeint sein könnte?
Ja, Queeny, es geht mir wie dir, da ist schon viel Wahres in dem Artikel. Klingt zwar alles bisher recht gut, mir ist es auch zu Synthe- lastig.Ich mag den reinen Gitarrensound lieber, bin halt Stones-Generation. Zum Hören des Albums ist dies ja auch alles OK. Wie sie das live auf der Bühne umsetzen wollen, da bin ich gespannt.
Die Rückkehr der respektabel rockenden Kunst-Menschen Tokio Hotel veröffentlichen mit "Humanoid" ihr drittes Album
Tokio Hotel als seelenlos kommerzielle Teenie-Band abzutun ist ebenso beliebt wie billig: Nimmt man die ganze Boulevard-Hysterie um das Magdeburger Quartett einmal beiseite, stehen auf der Habenseite nicht nur hochenergetische Rock-Shows mit hohem Unterhaltungswert, sondern auch zahlreiche moderne Ohrwürmer, deren Verfallsdatum längst nicht so gering ist wie viele oft boshafte Kritiker gern unterstellen. Ab morgen nun will die Band erneut ihre Qualität unter Beweis stellen - mit der dritten CD "Humanoid". Tim Hofmann unterhielt sich mit Gitarrist Tom und Sänger Bill Kaulitz.
Freie Presse: Im Vorfeld des neuen Albums ist bisher wenig über die Musik, aber viel über euer Aussehen geredet worden. Euer Schlagzeuger hat eine neue Frisur - ist das so wichtig?
Bill Kaulitz: Das war bei uns ja schon immer so, und Aussehen war in der Branche auch schon immer ein Thema. Pilzköpfe bei den Beatles, Makeup bei David Bowie, Spandexhosen bei Kiss - und heute eben Georgs Scheitel. Die Geschichte wiederholt sich.
Freie Presse: Die erste Single "Automatisch" klingt vergleichsweise zurückgenommen und effektbeladen. Habt ihr das Rocken etwas über?
Bill: Auf Humanoid sind auch wieder Songs, die sich sehr auf Gitarren konzentrieren. Insgesamt haben wir aber viele neue Sounds ausprobieret und auch mit Synthesizern und Keyboards produziert. Wir sind jetzt keine Elektro-DJs geworden, aber das Album hat insgesamt schon einen sehr frischen Sound.
Freie Presse: Bisher habt ihr kaum Stimmverfremdungseffekte verwendet und euch auf Bills natürliche Stimme verlassen. Nun kommt der mittlerweile im modernen Pop doch arg überstrapazierte Autotune-Effekt à la Cher zum Einsatz. Warum?
Tom: Wir mischen jetzt unsere Platte auch in Stereo, also mit Beatles-Effekt Nee, eigentlich wollten wir das nicht erwähnen, aber den Chor haben Lil Wayne, Kanye West, Cher und Akon für uns eingehustet, die stehen eben drauf.
Freie Presse: Der neue Albumtitel "Humanoid" klingt wie eine ironische Anspielung darauf, dass ihr immer noch Menschen seid, obwohl ihr oft nur als Kunstfiguren wahrgenommen oder von Fans stark idealisiert werdet. Ist der Titel so gemeint?
Bill: Den Begriff "Humanoid" hatten wir nicht von Anfang an. Unsere Songs haben sich einfach in diese Richtung entwickelt, und dann war der Name plötzlich da - alles passte dann perfekt zusammen. Inspiriert sind wir insgesamt immer noch von allem, was wirklich in unserem Leben passiert. Viele Tracks von "Humanoid" erzählen Geschichten und Gefühle seit dem letzten Album. Aber es stimmt schon, "Humanoid", das ist auch ein kleines Stück von dem, wie Menschen uns manchmal wahrnehmen.
Freie Presse: Welches Lob eines Musiker-Kollegen hat euch bisher am meisten bedeutet?
Tom: Früher war uns immer die Meinung unseres Stiefvaters am Wichtigsten, der ja selbst auch Gitarre spielt. Heute sind Komplimente oft sehr nett - aber nichts, worauf man sich etwas einbilden sollte.
Freie Presse: Welches Gitarrenriff der Rockgeschichte hättet ihr am liebsten selbst geschrieben?
Tom: Also, während einer Pause zum Dreh von "Automatic" habe ich mit Georg "Hells Bells" von AC/DC gespielt - das ist auf jeden Fall tierisch!
Freie Presse: Wie viel kompositorischer Input der Bandmitglieder steckt in den neuen Stücken, und woher kommt die Inspiration?
Tom: Bill rennt ständig mit tausenden zerknüllten Zetteln in den Taschen rum und notiert sich bei jeder Gelegenheit Ideen und Zeilen für neue Songs. Manchmal ist dann erst der Text da, manchmal die Melodie. Wir schreiben Songs oft im Team, ein Rezept gibt's da aber nicht.
Bill: Beim Thema Sound kommt natürlich viel von Tom. Ist jetzt auch bei den Keyboard-Sounds so. Tom spielt eigentlich am besten.
Tom: Bei "Humanoid" haben wir uns auch länger mit Synthesizern und Keyboards beschäftigt. Gustav zum Beispiel hat jetzt neben seinem Rock-Set auch elektronische Drums. Was tierisch ist - die kann ich dann bei den Proben einfach leiser drehen!
Freie Presse: Ihr seid mittlerweile auch international sehr erfolgreich. In welchem Land werdet ihr am meisten auf Image, Aussehen und Yellow-Press-Klatsch reduziert, und in welchem steht die Musik am meisten im Vordergrund?
Bill: Das ist weniger vom Land abhängig als von Interviewpartner. Wir haben immer beides. Manchmal geht es um Songs, Texte und Konzerte, und manchmal ums Aussehen und so was. Ist aber beides für uns okay. Wenn ich so rumrenne, erwarte ich ja nicht, dass mich niemand darauf anspricht!
Freie Presse: Ihr beide habt nie ein Hehl daraus gemacht, dass ihr die Schule lieber von außen als von innen seht und die Bühne bevorzugt. Wie fühlt man sich, wenn man dann für seinen Realschul-Abschluss mit einer Sonder-Auszeichnung wie dem "Jugendpreis Fernlernen 2009" gelobt wird?
Tom: Ja, Schule war und ist für uns der absolute Horror. Wir hatten nur Stress. Die Lehrer haben uns gehasst und das auch nicht verborgen. Das beruhte aber auf Gegenseitigkeit! Den Abschluss haben wir nur gemacht, weil uns die Behörden gezwungen haben. Wir haben uns aber gedacht: 'Okay, wenn wir das jetzt schon machen müssen, dann wenigstens gut.' Da sind wir einfach Perfektionisten.
Supergau, bei meinem Liefertermin von amazon steht 5.10. Ich hatte eben beide auf einmal bestellt, und da wollten sie wohl Portokosten sparen. Ich tobe........
Ich hatte beide Versionen - deutsch und englisch - bei amazon bestellt . Gestern kam erst mal die englische Version, die deutsche wird nachgeliefert. Ich finde des Album nach dem ersten Mal hören toll! Ich mag auch so ein wenig überproduzierte Dinger - in diesem Aspekt bin ich sehr mainstreamig, amerikanisch^^
Sprachlose Glückseligkeit. Stumm-stumm wie man mich sonst nie erleben würde. Mit etwas verweinten Augen......Rührung, Verzweiflung (Hunde), schmerzhafter Erinnerung (That day), aber auch sehr sehr viel Kraft, Hoffnung, Luftschlössern.... Die CD ist echt der Hammer. Geil! Gänsehaut, Tränen. Ich liebe es an THs Musik, dass sie ihre Gefühle SO transportieren können. Mich zerreisst aber auch grad die Sehnsucht, ich meine hauptsächlich Bills Sehnsucht. Auch wenn ich mir klar darüber bin, dass er nicht mehr die gleichen Gefühle transportieren könnte (Schmerz ist Inspiration), wenn sie erfüllt wären, so wünsche ich mir für ihn nichts mehr als dass er seine wahre Liebe sehr sehr bald findet.